von Paul Trosien
„Hallo, darf ich Sie kurz anhalten? Haben sie Interesse daran spontan geimpft zu werden? Wir haben im Impfzentrum noch aufgezogene Impfdosen übrig, die sonst verfallen.“
Ich laufe kurz vor Schichtende durch die verschneite Dunkelheit einer Schwäbischen Kleinstadt und komme mir vor wie bei einem dieser Studentenjobs, bei denen man in der Fußgängerzone steht, und arglosen Flanierenden versucht, ein Spendenabo aufzuschwatzen. Die Reaktionen die ich von den Menschen erhalte, denen ich zu einer Impfung verhelfen möchte, sind, entgegen meinen Erwartungen, mindestens genau so negativ. Von einfachem Ignorieren bis zu geblufften „NEIN“ und angeekelten Gesichtern ist alles dabei. Auf meiner lila Warnweste steht fett „Impfassistent“. Am Ende finde ich doch noch zwei Freiwillige inklusive dem Verkäufer aus der Dönerbude nebenan, der gegen den Rat seiner Kumpels den Mut zur Erstimpfung aufbringt. Wobei es bei ihm vorher wohl nicht am Mut, sondern an der schlechten Integration gescheitert war. Acht aufgezogene Spritzen wandern in die Tonne, während Entwicklungsländer nach Impfstoff lechzen und gleichzeitig immer wieder zum Hort neuer Mutanten werden.
Ich spüre Ohnmacht und Hass. Hass gegenüber Menschen, deren Dummheit vom Wohlstand unseres Landes aufgefangen wird. Hass, gegenüber der Politik, die im Wahljahr untätig war, weil Taten polarisieren. Man könnte ja Brigitte’s Stimme verlieren weil ihr kleiner Jason in der Grundschule unter seinem Mund-Nasenschutz einen Asthmaanfall bekommen könnte während er geimpften Opfern das Pausenbrot klaut. Jason hat kein Asthma. Jason ist übergewichtig und schwitzt unter der Maske weil seine Mutter ihm jeden morgen Erdbeerkäse für die Vitamine aufs Brot schmiert.
Derweil heilt mein Piercing, den ich mir vor sechs Monaten habe stechen lassen, nicht komplett aus, weil ich jeden Tag im Krankenhaus, in der Uni und im Impfzentrum meine Bakterien in eine FFP2 Maske puste. Wegen einer Pandemie, die in unserem privilegierten Land längst vorbei sein könnte. Ich bin frustriert und müde. Frustriert, mein Leben der Medizin zu verschreiben und festzustellen, dass weite Teile der Bevölkerung Gesundheit und Menschen die im Gesundheitswesen arbeiten erst dann wertschätzen können, wenn sie selbst einmal ernsthaft krank gewesen, und von eben diesen wertvollen Menschen aufgefangen worden sind.
„There’s no glory in prevention“. Dieser Spruch ist für mich eher eine traurige Momentaufnahme als eine unveränderliche Tatsache an der unsere ehemalige Regierung schuld ist.
Viele meiner Freunde aus der Heimat sind mittlerweile Lehrer und jedes Mal, wenn ich sie im zu Ende gehenden Jahr besucht habe, war ich schockiert zu hören, dass es zu dem Zeitpunkt nicht mal mehr eine Maskenpflicht im Klassenzimmer gab. Das Problem an der Sache waren nicht die Kinder, die sich sicher einer Maskenpflicht friedlich gefügt hätten, sondern die Eltern, die in der Pandemiebekämpfung eine perfide Weltverschwörung gegen die Zukunft ihrer kleinen Einsteins sehen. Von der Pandemie, ihren Kindern und ihrer Lebenssituation überforderte Eltern, die sich mit ihren eigenen Problemen hinter ihren Kindern verstecken weil psychisch kranke Menschen in unserer Gesellschaft immer noch stigmatisiert werden und die spärlichen Therapiemöglichkeiten während Corona noch viel hoffnungsloser überlaufen sind. Es geht nicht um Corona oder Masken, sondern es geht um die Schwächen im Zusammenhalt und Miteinander unserer Gesellschaft die von Corona demaskiert werden.
Das alles ist schwer zu sehen, und es braucht schlaue Politikerinnen mit breit gefächerter Fachexpertise statt Populisten, um unsere Gesellschaft wieder zusammenzuführen über die Gräben die sich offensichtlich auftun. Karl Lauterbach, ein Arzt und Epidemiologe im Amt des Gesundheitsministers, stimmt mich, zumindest was das angeht, positiv für die Zukunft.
Zurück in der Realität: Kürzlich war ich mit meiner Freundin nach der Arbeit in einem Trampolinpark bei Stuttgart. Auf der Website stand groß: „2G, geimpft, genesen UND getestet“. Als wir ankamen, mussten wir feststellen, dass wir das etwas kleiner geschriebene „ausgenommen Kinder und Jugendliche bis 17 Jahre“, überlesen hatten. Es ist surreal, hunderte Kinder ohne Masken in einer Halle voller Trampoline mit Becken voller Schaumstoffklötzen rumtollen zu sehen, während auf den Intensivstationen bald Triage angewendet wird. Ich kam mir naiv vor, dass ich das nicht geahnt hatte. Die nach Kinderschweiß riechenden Schaumstoffbälle, die meinen ersten Sprung sanft betteten, ließen die zwanghaft aufrechterhaltene Sorglosigkeit in tausend Scherben zerspringen. „Tut uns Leid, hier haben Sie Ihr Geld zurück“, einen Gutschein wollten wir nicht, nein danke. In den verächtlichen Blicken der, uns beim Gehen beobachtenden, am Rand sitzenden, Mütter, sah ich Verzweiflung und Augenringe wie Burggräben. Zu meiner Fassungslosigkeit mischte sich Mitleid. Es ist schwer die momentane Realität nüchtern anzuerkennen, aber es ist die einzige Chance, sie wieder zum Besseren zu verändern.
Auf dass die Pandemie irgendwann enden wird. Bevor unsere Demokratie zerbricht.
Foto:Unsplash// Robert Collins
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